Katalin Hankovszky – und eine Fallbeschreibung von Harry Korman
Eine der hervorragenden Eigenschaften des lösungsfokussierten Ansatzes ist es, dass wir unsere Gesprächspartner:innen ernst nehmen können und im Gesprächsverlauf darauf bauen können, was sie als ihre angestrebte Wirklichkeit beschreiben.
„Die Antwort der Kund:in muss vollständig und buchstäblich akzeptiert werden – das ist, wie die Kunst dieses Ansatzes zum Tragen kommt“ Steve de Shazer
Meine persönlichen Erfahrungen stammen aus dem Bereich des Coachings und weiss, dass auch da nicht selbstverständlich ist, dass wir als Coaches das Gesagte akzeptieren und nicht in Frage stellen (was ist das „eigentliche Ziel“, fragen zum Beispiel andere Coaches, oder „Menschen mit ADHD sagen so etwas weil sie… und eigentlich …“), sondern als Wunsch weiter zur Entfaltung bringen.
Da wir auf alltagshandlungsrelevante Unterschiede hin arbeiten, das heisst, bei jeder angestrebten Veränderung deren erhoffte Auswirkung im Leben und in den Kontakten unserer Kund:innen detaillieren möchten, können wir von vielen verschiedenen Ausgangspunkten starten, also auch von dort aus, was auch immer unsere Kund:in einbringt. Wir müssen den Ausgangspunkt, die erste Antwort nicht bewerten (ist die erste Idee die Beste? Oder eben nicht?), sondern weiter „strecken“ – ein Wort, das Mark McKergow in seinem Buch für die neugierige Arbeit der Praktiker:in verwendet.
So erweisen sich viele Beschreibungen, die wir am Anfang eines Gespräches erhalten, als Mittel zum Zweck, einfach, weil wir im Verlauf dran geblieben sind.
Die „Technik“ in der Interaktion also ist es, wenn Kund:in sich x wünscht, Neugier zu zeigen, welchen positiven Unterschied x denn für die Kund:in bringen würde. Und welchen noch, und wer noch würde daraus etwas positives wahrnehmen können. Ein solches „ernst nehmen“ können wir jeder Zeit in einem Dialog praktizieren: in der Phase, wenn wir ein gemeinsames Projekt vereinbaren, Ziel klären, oder auch wenn mitten in einer Beschreibung ein Wunsch geäussert wird: „Also nehmen wir mal an, x, wie wären dann die Dinge anders in deinem Leben / am nächsten Tag im Büro“ – oder wo auch immer wir im Gespräch uns befinden.
Inspirierend fand ich aus dem therapeutischen Bereich das Beispiel, welches ich von Harry Korman (sikt.se) in einer mündlichen Mitteilung kennen lernen durfte. Die Ausgangssituation ist so besonders, dass viele Helfende sich beleidigt fühlen könnten: Der Kunde kam „nur“, um auch in dieser Therapie erfolglos zu sein. Von hier aus ein nützliches Gespräch zu ermöglichen – dazu brauchte es die Konsequenz von Harry Korman, und ein gutes Verständnis von „means and ends“, Mittel und Ende/Zweck. Wenn wir den von Insoo Kim Berg stammenden vielzitierten Satz „Beginne mit dem Ende im Sinn“ so verstehen: was auch immer unsere Kund:innen sich wünschen, sollen wir erfragen, zu was Gutem das für sie führen würde – was ist also das „Ende“, der Zweck ihres Wunsches. Wie ein Kollege zu sagen pflegt: das Ziel ihres Ziels. So entfaltete sich ein Gespräch zwischen Harry und John, dem Helden des Beispiels und erwies sich als Wendepunkt in einem Leben.
Ich bat Harry, den Fall schriftlich festzuhalten und teile ihn nun in deutscher Übersetzung erstmalig hier:
Ende der 80er Jahre kam John, ein Mann Ende 20, zum „Heroinprogramm“. Zu dieser Zeit versuchte ich erst, SFBT zu erlernen und damit zu experimentieren. Es gab viele Dinge, die ich über das Modell nicht wusste, aber ich hatte den grundlegenden Unterschied zwischen Mitteln und Zielen verstanden.
Ich begann die Sitzung mit der Frage: „Was muss sich ändern, damit Sie das Gefühl haben, dass Ihr Besuch hier sinnvoll war?“
Nach ein paar Sekunden des Zögerns antwortete er: „Ich hätte Methadon bekommen.“
Ich wusste, dass es in der Region Malmö-Lund ein Forschungsprogramm gab, in dem Methadon getestet wurde, um festzustellen, ob es die Sterblichkeit unter Heroinsüchtigen senkt. Also fragte ich ihn, ob er sicher sei, dass er an der richtigen Stelle sei, da wir kein Methadon verschreiben konnten.
Er versicherte mir, dass er an der richtigen Stelle sei, also bat ich ihn, dies zu erklären, und er sagte:
„Ich stehe auf der Warteliste für das Forschungsprojekt in Lund, um Methadon zu bekommen, aber um teilnahmeberechtigt zu sein, muss ich zuvor drei erfolglose Behandlungen hinter mir haben“ (er hielt kurz inne, sah dann auf und sagte:) „und dies ist die dritte.“
Ich erinnere mich noch, wie ich dachte: „Sein Ziel für die Therapie ist also, in der Therapie zu scheitern. Aber das ist kein Ziel! Es ist ein Mittel, um Methadon zu bekommen. Aber ist es wirklich wünschenswert, Methadon zu nehmen, oder ist das nur ein Mittel zu etwas anderem?“
Also fragte ich:
„Angenommen, Sie scheitern hier erfolgreich (er lächelte) und bekommen Ihr Methadon.“ Er nickte, und ich fuhr fort: „Was wird sich dadurch in Ihrem Leben ändern?“
Er antwortete ziemlich schnell: „Ich hätte ein funktionierendes Sozialleben.“ Und ich wiederholte: „Sie hätten ein funktionierendes Sozialleben.“ Er nickte und ich fügte hinzu: „Das ist es also, was Sie wollen?“ Und er antwortete mit einem nachdrücklichen „Ja“.
Also stellte ich ihm die Wunderfrage und erklärte ihm, dass das Wunder darin bestehen würde, dass er nach dem Aufwachen ein funktionierendes Sozialleben führen würde. Da er schlafen würde, wenn das Wunder geschah, würde er nicht wissen, dass es geschehen war. Wie würde er also entdecken, dass er plötzlich ein „funktionierendes Sozialleben“ führte?
Seine erste Antwort lautete: „Ich würde mit Hunger nach Essen aufwachen statt mit Hunger nach Heroin.“
• Wenn Sie also mit Hunger nach Essen statt nach Heroin aufwachen würden, was würden Sie dann tun?
• Da ich nichts im Kühlschrank habe, würde ich zum Laden an der Ecke gehen und (kurze Pause) zwei Brötchen kaufen. (Weitere Pause, dann fuhr er fort): Ich müsste Butter und Schinken und Käse kaufen und (erneute Pause) eine Tomate.
Es gab eine längere Pause, und sein Blick wanderte durch den Raum, dann fügte er hinzu:
• Ich würde auch die Morgenzeitung kaufen.
Ich fragte ihn: „Was würde am Morgen nach dem Wunder als Nächstes passieren?“ Und er erzählte mir, dass er frühstücken, die Morgenzeitung lesen und vielleicht die Stellenanzeigen durchsehen würde. Dann würde er seine Ex-Freundin anrufen und mit ihr darüber sprechen, was sie von ihm sehen müsste, damit er ihr gemeinsames Kind sehen dürfe. Anschließend würde er seine Eltern anrufen und sie zum Abendessen einladen, nicht für denselben Tag, sondern für das Wochenende. Sie wären sehr überrascht und glücklich.
Nachdem ich ziemlich viel Zeit damit verbracht hatte, die Aktivitäten des normalen Alltags nach dem Wunder detailliert zu beschreiben und viele Details über Johns Vorstellung von einem „funktionierenden sozialen Leben“ zu erfahren, fragte ich ihn:
• Noch eine seltsame Frage: Auf einer Skala von 0 bis 10, wobei 10 für ein funktionierendes Sozialleben steht, wie nach dem Wunder, und 0 für den Zeitpunkt, als Sie beschlossen haben, sich um Methadon zu bemühen, wo würden Sie sich selbst einordnen – in der letzten Woche oder so?
Er dachte eine Weile darüber nach und sagte dann: „Ich würde sagen, ich bin bei etwa 3.”
Ich versuchte, verwirrt zu schauen: „Eine 3 … Hm … Wie sind Sie dann von 0 auf 3 gekommen … (ich beugte mich vor und runzelte die Stirn) ohne Methadon?“
Ein leicht verwirrter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Er hob seinen rechten Arm, kratzte sich am Kopf und sagte: „Das ist eine verdammt gute Frage.“
Anschliessend beschrieben wir, was er bereits getan hatte, wodurch er sich auf der Wunderskala von 0 auf 3 bewegt hatte, und beendeten die erste Sitzung damit, dass er beschrieb, wie er erkennen würde, dass er seinem Wunder einen Schritt oder einen halben Schritt näher gekommen war.
Harry Korman
Juli 2023
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