Eine Rezension des Buches „Und jetzt zeigst du uns, wie Sterben geht. Sterben lernen heißt leben lernen“ von Julia Kalenberg

Elfie J. Czerny

Julia Kalenbergs Vater lehrte seine Kinder viele Dinge, vom Basteln eines Kastendrachens bis hin zu praktischen Fertigkeiten wie dem Reparieren eines Fahrrads oder dem Schnitzen eines Stockes (S. 13). In ihrem Buch ehrt Julia liebevoll das Erbe ihres Vaters, indem sie seine letzten Monate in eine inspirierende Erzählung einwebt. Sie schöpft nicht nur aus den wertvollen Lektionen, die sie und ihre Familie an seiner Seite lernten, sondern auch aus den Erfahrungen anderer, und lädt mit ihren Geschichten die Lesenden ein, sich auf ihre eigene Reise zur Erforschung der Kunst des Lebens und Sterbens zu begeben.

Was mich an diesem Buch begeistert, ist die Art und Weise, wie Julia gekonnt Geschichten, persönliche Reflexionen und zum Nachdenken anregende Fragen zu einem fesselnden Narrativ verwebt, das nicht nur die Unvermeidlichkeit des Sterbens anerkennt, sondern auch das Leben in seiner Konfrontation mit diesem feiert. In einer Zeit, in der das Bewusstsein für die Bedeutung von Gesprächen am Lebensende und die Notwendigkeit eines einfühlsameren Umgangs mit dem Tod wächst, ist Julias Buch ein rechtzeitiger und wichtiger Beitrag.

Die drei Teile von Julia Kalenbergs Buch

Das Buch gliedert sich in drei Teile, die jeweils eine Schatzkiste voller Geschichten, Reflexionen und bedeutungsvoller Fragen zum Weitererkunden bieten. Der erste Teil besteht aus Geschichten von Menschen, die mit Verlusten konfrontiert sind. Diese Erzählungen erfassen nicht nur eine reiche Vielfalt an menschlichen Erfahrungen, sondern ermutigen die Lesenden auch, über ihre eigenen Erkenntnisse nachzudenken.

Im zweiten Teil öffnet Julia ihr Tagebuch, um einen privaten Einblick in ihre emotionale Reise während der letzten Monate ihres Vaters zu gewähren. Ihre Ehrlichkeit und Verletzlichkeit bieten den Lesenden eine persönliche Perspektive auf den Umgang mit Verlust, was das Buch nachvollziehbar und emotional berührend macht.

Im dritten Teil des Buches erzählt Julia Geschichten aus Gesprächen mit Menschen, die den Tod naher Angehöriger erlebt haben, und beleuchtet ihre Erfahrungen sowie das, was für diese Menschen in ihren Situationen Bedeutung hatte. Julia integriert geschickt zum Nachdenken anregende Fragen in diese Geschichten und lädt die Lesenden ein, über ihre eigenen Gespräche mit nahestehenden Menschen nachzudenken.

Eine lösungsfokussierte Lebensphilosophie

Julia verwendet lösungsfokussierte Prinzipien in ihrer Schreibweise, ohne sie explizit zu erwähnen. Ihre Fähigkeit, diese Prinzipien in ihre Erzählung einzuflechten, ist beeindruckend und macht dieses Buch für ein breites Publikum zugänglich und wertvoll.

Durch ihre eigene Geschichte und die Geschichten anderer zeigt sie, wie Menschen die Stimmen jener am Lebensende ehren und Räume für bedeutungsvolle Abschiede schaffen können. Ihre lösungsfokussierte Lebensphilosophie zeigt sich in ihren Interviews, der Auswahl der Geschichten und in der Art, wie sie lösungsfokussierte Annahmen im täglichen Leben integriert.

Julia lud beispielsweise ihre Familie ein, über die gemeinsame Gestaltung der letzten Monate mit ihrem Vater nachzudenken, inspiriert von einer Geschichte, die sie im ersten Teil des Buches beschreibt (S. 38 ff). Sie und ihre Familie stellten sich Fragen wie: „Angenommen, es ist das Ende des Jahres … Papa ist nicht mehr unter uns. Wir blicken auf die letzten Monate zurück und sind zufrieden, wie wir die Zeit gestaltet haben. Was haben wir gemacht? Wer hat dazu beigetragen, dass es eine annehmbare Zeit war? Womit sind wir besonders zufrieden?“ (S. 65)

Ein weiteres berührendes Beispiel ist, wie sie und ihr Bruder Verwandte und Freunde ihres Vaters über seine Diagnose informieren und diese dazu einladen, ihm umgehend Abschiedsnachrichten zu senden, damit er sie noch lesen kann (S. 68 ff).

Diese und viele weitere im Buch erzählte Beispiele zeigen, wie bedeutsam es sein kann, selbst in schwierigen Umständen eine lösungfokussierte Haltung zu kultivieren.

Ein Blick auf vielfältige Erfahrungen

Gespräche über den Tod sind oft herausfordernd, meist jedoch für alle Beteiligten von sehr grossem Wert. Julias Buch liefert wertvolle Einblicke in die Schaffung einer förderlichen Umgebung für Gespräche über das Sterben und respektiert gleichzeitig wie unterschiedlich Menschen und ihre Situationen sind. Statt Rezepte vorzustellen, ermächtigt sie die Lesenden, aus den Erfahrungen anderer zu lernen und regt liebevoll zur Selbstreflexion über die persönlichen Hoffnungen, Ressourcen und persönlichen, stärkenden Erlebnisse an.

Eine der Stärken dieses Buches ist Julias Bereitschaft, ihre eigene Geschichte zu teilen. Sie tut dies mit Offenheit und Verletzlichkeit, und ihre Perspektiven sind sowohl inspirierend als auch sehr berührend.

Besonders bemerkenswert an Julias Buch ist auch sein Fokus auf Hoffnung. Julia stellt die Ansicht in Frage, dass das Sterben stets nur traurig und schwierig sein muss. Stattdessen veranschaulicht sie, wie der Abschied auch eine Zeit des persönlichen Wachstums, des gemeinsamen Lernens und der zwischenmenschlichen Verbindung sein kann.

Wie das Buch meine Gedanken angeregt hat

Julias Buch hat mich sehr bewegt und zum weiteren Nachdenken angeregt. Als Sammlerin von Erfolgsgeschichten haben mich ihre Erzählungen neugierig gemacht meine eigenen Erfahrungen mit dem Sterben zu reflektieren. Mir wurde beim Lesen und Arbeiten mit dem Buch bewusst, welch reichhaltige Schätze ich bereits im Laufe meines Lebens aufgebaut habe. Ich fand dabei nicht nur wertvolle Erkenntnisse in ihren Geschichten, sondern erkannte auch die Bedeutung all der Erkenntnisse, die ich während meiner eigenen Begegnungen mit dem Sterben gewonnen habe. Diese Erkenntnisgewinne wurden sehr durch den Aufbau und die Struktur des Buches eingeladen.

Für ein einfühlsames Erkunden des unausweichlichen Übergangs des Lebens

Dieses Buch könnte in verschiedenen Bereichen wie Gesundheitswesen, Psychologie, Familienberatung und Gesprächen am Lebensende von unschätzbarem Wert sein. Grenzen der Anwendbarkeit könnten in Bereichen liegen, die nicht mit persönlichem Wachstum, Selbstreflexion oder Gesprächen am Lebensende zusammenhängen. Das Buch gibt auch keine klaren Rezepte, sondern überzeugt durch viele inspirierende Geschichten, die neugierig machen, sich auf eine Resilienz fördernde Weise mit dem Sterben auseinanderzusetzen.

Gespräche über den Tod sind oft schwer zu führen, aber sie sind unerlässlich. Julias Buch inspiriert dazu, diese Gespräche aktiv einzuladen, anstatt sie zu vermeiden. Es bietet den Lesenden die Möglichkeit, aus den Erfahrungen anderer zu lernen und über ihre eigenen Perspektiven auf den Tod und das Sterben nachzudenken.

«Und jetzt zeigst du uns, wie Sterben geht» ist ein wichtiger Beitrag für alle, die vom Tod berührt wurden, sei es persönlich oder durch einen nahestehenden Menschen. Und dieses Buch wird lange nach dem Lesen in Erinnerung bleiben.

Julia Kalenbergs Buch ist 2023 unter dem Titel ‚Und jetzt zeigst du uns, wie Sterben geht. Sterben lernen heißt leben lernen‘ im Zytglogge Verlag in Basel erschienen.

Autorin der Rezension

Elfie J. Czerny ist Interactionalist & lösungsfokussierte Praktikerin, wohnhaft in der Schweiz.

Diese Rezension erscheint zeitgleich in Deutscher und Englischer Sprache.

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